Es ist dem Mut Betroffener, die das Schweigen brachen und die Mauern des Vertuschens einrannten zu verdanken, dass das Thema „sexualisierte Gewalt“ in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus rückte. Es ist also nur allzu verständlich, dass wir uns als Teamer für die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit, mit genau diesem schweren Thema auseinandersetzen müssen. Doch wo beginnt sexualisierte Gewalt? Wie wahre ich die nötige Distanz? Wie erkenne ich erste Anzeichen bei Betroffenen? Diese und noch weitere Fragen tauchten in dem Seminar zur „Prävention sexualisierter Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit“ auf, mit denen wir uns unter Leitung von Gottfried beschäftigten.
Mit einem kurzen Einstiegsvideo, welches dem Betrachter ein beklemmendes Gefühl hinterließ, startete das Seminar für die sieben ehrenamtlichen Teamer. Auf einem Wimmelbild waren im Anschluss Szenen eines Zeltlagers dargestellt, von denen einige als Eingriff in die Intimsphäre zu deuten waren – und damit den ersten Schritt in Richtung sexualisierte Gewalt markierten. Diese Szenen wurden analysiert und in den richtigen Kontext eingeordnet. Es folgten einige (fiktive) Fallbeispiele, anhand derer die Gruppe das richtige Handeln üben bzw. in einer Diskussionsrunde erörtern konnte. So brisant und emotional geladen das Thema auch sein mag – nicht immer ist schnelles Handeln von Nutzen, übereifriges Reagieren kann manchmal auch mehr Schaden anrichten, als dass es vor Unheil bewahrte. Aus diesem Grunde erhielten die Teilnehmer einen „Handlungsleitfaden zum Kindesschutz“, der in ernsten Situationen eine Stütze sein kann. Hierin sind auch Kontaktdaten zu den Stellen, an denen professionelle Hilfe geleistet wird, angegeben (s. Infokasten am Ende des Artikels).
Es kamen aber neben der grundlegenden Einordnung und dem Erkennen möglicher Vorgänge sexualisierter Gewalt auch die Täterstrategien zur Sprache. Erschreckend war die Erkenntnis, mit welcher vorausschauenden Geduld, strategischen Kühle und rationalen Planung die Täter ihre potenziellen Opfer auswählen, manipulieren und isolieren. Vorgehensweisen, die auf den ersten Blick harmlos erscheinen und zunächst nichts Schlimmes vermuten lassen – umso wichtiger ist es, diese Strategien zu (er)kennen und die dahintersteckenden Absichten zu unterbinden. Ein weitgehend unüberwachter Raum, in dem sich Täter untereinander austauschen und gegenseitig bestärken, ist auf einschlägigen Internetplätzen zu finden. Doch auch in der Mitte der Gesellschaft angekommene Social-Media Plattformen können Basis für die Täter und ihre Fantasien sein. Umso entscheidender ist es, darauf zu achten, was wir als Teamer von den Teilnehmenden unserer Aktionen posten. Doch auch Kinder und Jugendliche sind darüber aufzuklären, was sie von sich ins Internet stellen sollten und was besser nicht.
Ein wahrlich schwieriges Thema, über das niemand gerne spricht und über das doch zwingend gesprochen werden muss. Denn so beklemmend und erschreckend es zuweilen auch sein mag, so wichtig ist es doch, sich seine Bedeutung vor Augen zu führen. In unserer ehrenamtlichen Arbeit haben wir mit Kindern und Jugendlichen zu tun, von denen -rein statistisch- welche betroffen sein könnten. Ihnen gilt es, die Hilfe zuteilwerden zu lassen, die sie brauchen, ohne sie dabei als Opfer zu stigmatisieren. Ein wichtiger Bestandteil hiervon ist es, den Betroffenen Glauben zu schenken, wenn sie sich einem anvertrauen. Viele, die diesen Schritt wagen, erleben zunächst Ablehnung und finden keine Beachtung – schlimmer gar, werden als Lügner und Schwindler hingestellt. Dieses soll uns Mahnung sein, das uns als ehrenamtliche Teamer in der Kinder- und Jugendarbeit entgegengebrachte Vertrauen nicht zu missbrauchen und uns als wichtigen Teil dieser jungen Menschen auf ihrem Lebensweg anzusehen. Auf dass alle unbeschwerte Freude dabei empfinden, diesen Abschnitt gemeinsam zu gehen.
Um gemeinsames Erreichen und gegenseitiges Vertrauen ging es auch im zweiten Teil des Seminars. Nach einem theoretischen Vormittag mit schwerer Kost und einem Mittagessen bei Baguette und Käse allerlei stand der spielerische Nachmittag in kooperativem Licht: Erlebnispädagogik.
Zunächst galt es den peitschenden Hieben eines sich kontinuierlich drehenden Springseils auszuweichen – erst einzeln, dann als Gruppe zusammen, vorerst bergab, folgend bergauf. Mehr sportliche Aktivitäten forderte die Flussüberquerung als Expeditionsteam, welches seine aus kleinen Gewebeplanen bestehende Ausrüstung auf das gegenüberliegende Ufer zu bringen hatte. Findige Mitglieder der Gruppe fanden sogleich eine passende Lösung, sodass wir Fuß für Fuß förmlich über das Wasser flogen.
Auch der Turmbau zu Babel, bestehend aus mehreren aufeinander zu stapelnden Holzklötzen, stellte -trotz der mehr oder minder winklig geschnittenen Klötzen- kein Problem dar. Die Hebekonstruktion, welche einen Ring in der Mitte mit einem Hebehaken für die Holzklötze (diese hatten zum Andocken einen entsprechenden Schlitz) beinhaltete, wurde durch die Teamer an gut 2 m langen Bändern durch die Luft schweben gelassen. Klotz um Klotz hob sich der Turm in die Höhe, ohne dass er (aller Neigungen und Wackler zum Trotz) umfiel.
Einzig und allein der Zahlencode ließ sich nicht knacken. Eine Bande von Hackern hatte den Auftrag, in das System eines Unternehmens einzudringen, indem es einen Zahlencode entschlüsselt. In einem Kreis liegende Stückchen Gewebeplane, welche mit den Zahlen von 1-35 beschriftet waren, sollten in die richtige Reihenfolge gebracht werden. An und für sich kein Problem, allerdings lagen diese verdeckt und sollten nacheinander in aufsteigender Reihenfolge aufgedeckt werden. Das Team hatte 3 Erkundungsrunden, sich die Zahlen anzusehen und zu merken. Es scheiterte bereits im ersten Drittel der Reihe und wurde geschnappt – und sogleich in den aus einem Seil bestehenden „Knast“ gesperrt. Dieser war nur durch Überwinden der Mauern (also die Oberkante des auf unterschiedlichen Höhen gespannten Seils) zu verlassen. Durch Heben, Springen und Drübersteigen konnte das gefasste Team aber entkommen und sich dem letzten Teil der Aufgaben stellen, die ein sichtlich von der Schnelligkeit bei der Aufgabenbewältigung überraschten Leiter vorbereitet hatte.
In den entlegenen Winkeln des Pfarrgartens, wo sonst kein Fuß hingesetzt wird, spannten sich die Seile und Gurte eines Niedrigseilgarten-Parcours und schwebten über dem noch in voller Pracht stehendem Bärlauch. Wer sein Gleichgewicht nicht halten konnte, fand sich kurz danach nach Knoblauch riechend in diesem Meer aus grünen Blättern und weißen Blütenstängeln wieder. Doch wer glaubte, die erste Runde überstanden zu haben, der war auf die zweite nicht vorbereitet: mit verbundenen Augen ging es tastend und sich auf den Partner verlassend über die Seile. Wacklig auf den Beinen haltend und langsam vorwärtsschiebend lief allerdings auch diese Runde ohne Verletzungen ab. Wer mochte, konnte den Parcours auch gänzlich ohne Hilfsmittel (es hingen lianengleich Seile von den Bäumen zum Festhalten) versuchen – entgegen der physikalischen Gesetzgebung „Geschwindigkeit bringt Sicherheit“ war es auch mit schnellem Laufen nicht möglich, die Strecke zu überwinden und so gaben schlussendlich selbst die Wagemutigsten und Geschicktesten auf, es pur zu versuchen. Zu jeder erlebnispädagogischen Einheit gehört auch eine Auswertung, die hier jedoch relativ knapp ausfiel, uns aber noch einige nützliche Tipps von einem erfahrenen Pädagogen mit auf den Weg brachte. Dem gemeinsamen Abbau des soeben noch bestrittenen Parcours folgte das Ende des Seminars, welches ernsthaft begonnen, aber mit lachenden Gesichtern abgeschlossen wurde.
Betroffene sexualisierter Gewalt erhalten Informationen und Hilfe unter folgenden Anlaufstellen (Auswahl):
Zentrale Anlaufstelle help | 0800/5040112 | zentrale@anlaufstelle.help |
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch | 0800/2255530 | |
Nummer gegen Kummer | 0800/1110333 |